Zeichnungen von Heyko Stöber
Wie sieht die Stadt aus, in der wir leben wollen?
Die Stadt, in der wir leben wollen, ist hell, grün und geräumig. Sie kann sich dynamisch an die Mobilitäts-, Versorgungs- und Beherbungsbedürfnisse ihrer Bewohner anpassen, und zwar bis hinunter auf die Ebene der einzelnen Gebäude: Jedes Haus kann sich gewandelten Funktionen durch Veränderung seiner Gestalt und seiner Architektur anpassen. Die Stadt ist eine für Menschen, nicht für Autos.
Die Stadt, in der wir leben wollen, ist eine offene Stadt. Das heißt, Zu- und Wegzug, Mobilität innerhalb der Stadt (horizontal und vertikal) ist so selbstverständlich, dass das Stadttor als Symbol der Grenze endgültig wegfällt. Es gibt keinen abrupten Unterschied von Stadt und Land, von Zentrum und Peripherie mehr.
Die Gebäude der guten Stadt müssen auch von innen wandelbar sein. Wenn jede Wohnung zum Ort von kleinteiliger Produktion und Konsumtion und von Recycling/Upcycling direkt bei der Müllentstehung selbst werden soll, dann müssen die Wohnungen dieser Herausforderung auch intern gewachsen sein. In jeder Wohnung findet Nahrungsmittelproduktion statt. Jedes Haus erzeugt seinen Strom. Jedes Haus klärt seine Abwässer. Jedes Haus sammelt auf smarte Weise Wertstoffe, die in Produktion (Umformung) zurückgehen – entweder lokal oder in größeren Zusammenhängen. Autarkie ist nicht erstrebenswert (weil eine Strategie der Vereinzelung und Abkapselung) – es geht im Partizipation.
Die gute Stadt reduziert die Angst des Fußgängers vor anderen Verkehrsteilnehmern durch radikale Verminderung des Autoverkehrs. Verkehrsmittel und -planung, die den Fußgänger nicht marginalisieren oder gefährden, sind in der guten Stadt die Regel.
Die gute Stadt erkennt an, dass eine Verbesserung der Kommunikation auf allen Ebenen, virtuell wie persönlich, in offenen Foren, auf den physischen Plätzen und in sinnvoll regulierten, virtuellen Foren ein essentielles Bedürfnis des städtischen Lebens darstellt. Die gute Stadt IST in gewissem Sinn ein sinnvolles Gespräch von vielen Menschen mit engen lokalen Beziehungen über sich selbst.
Dass die gute Stadt lebendig ist, erkennt man an ihrer positiven Haltung zum Flanieren. Die Flaneur*innen haben Zeit, durch die Geschichte und die Gegenwart der Stadt buchstäblich hindurchzuwandern. Was heute in den Kümmerformen des touristischen „Stadtspaziergangs“ und des kauzigen Lokalhistorikers existiert, verwandelt sich in eine selbstverständliche Informiertheit über den eigenen Wohnort.
Die gute Stadt erkennt an, dass eine weitgehende Virtualisierung menschlicher Kommunikation keinen Sinn macht. Um der medieninduzierten Vereinsamung entgegenzuwirken, schafft sie Plätze und Möglichkeiten für persönlichen Kontakt, auch unter schwierigen Bedingungen.
Der Austausch ökologisch nicht nachhaltiger Baustoffe durch bessere hat auch den Sinn einer verbesserten sozialen Ökologie. Die Stadt der Zukunft kann nicht zulassen, dass durch verfehlte Beton-Architektur, Vernachlässigung (Favelas, „Banlieues“ und Armutsghettos) und feindliche Architektur „sick buildings“ und toxische Umgebungen entstehen, die schon per se lebensfeindlich sind.
Die gute Stadt belebt den Untergrund und ganz allgemein die versteckten Ecken der Stadt. Pariser Gruppen wie les UX mit ihren Abteilungen „Untergunther“ und „LMDP“ waren/sind Vorreiter in dieser Hinsicht. Ein anderes Beispiel: „Stompie“ in London. Der versteckte und der vergessene Platz ist der Platz für die Entdeckung und Wiederbelebung der Geschichte.
Die Stadt, in der wir leben wollen, ist hell, grün und geräumig. Sie kann sich dynamisch an die Mobilitäts-, Versorgungs- und Beherbungsbedürfnisse ihrer Bewohner anpassen.
Die heute vorherrschenden Baumaterialien Stahl, Beton und Aluminium gehören zu den größten Antreibern der Klimakrise in den Städten. Schon aus diesem Grund müssen sie zügig ersetzt werden.
Die gute Stadt der Zukunft macht Ernst mit dem Recycling auf einem ganz anderen Niveau als der „Gelbe Sack“ von heute. Dazu sind neue Formen des Recyclings und Upcyclings notwendig, die nicht am Glascontainer stattfinden sondern direkt beim Konsumenten oder zumindest in jedem Haus.
Die gute Stadt kommt mit der Herausforderung zurecht, die der E-Commerce für eine bisherige zentrale Funktion der Innenstädte darstellt: den Einzelhandel. In Verbindung mit dem Ideal der offenen Stadt mobilisiert und verteilt sich der Einzelhandel; Warendistribution findet de facto überall statt.
Die neue, gute Stadt ist zwar agil, aber sie denkt strategisch nicht in kurzen Zeiträumen. Die Offenheit, die sie kennzeichnet, meint auch eine Offenheit für zukünftige Entwicklungen, die auf der Basis guter Qualität in der Gegenwart geschehen. Damit ist weniger die Hoffnung auf ewiges Wachstum und Boom gemeint (wie zum Beispiel bei den Fehlplanungen in der Berliner Abwasserentsorgung nach dem Mauerfall), sondern die generelle Priorisierung von Qualität über Quantität, von Langlebigkeit über atemlose Innovationszyklen, von Wiedervertwertung über Neuanschaffung um jeden Preis. Das bestimmt auch Finanzfragen – eine Entwicklung, wie sie zum Beispiel beim Rückzug der Pensionsfonds von New York City aus den fossilen Energien schon sichtbar ist.
Sicherheit entsteht durch Vorbeugung, Früherkennung von Problemlagen, durch soziale Sicherheit der Stadtbewohner*innen. Ohne der Illusion zu verfallen, dass man völlig auf einen Sicherheitsapparat verzichten kann, rüstet die gute Stadt die Stadtgesellschaft sozial auf und nicht die Polizei.